Es war nicht leicht mit dem Eis diesen Winter. Nicht, dass es nicht kalt gewesen wäre, doch haben wochenlange Wärmeperioden den soliden Eisaufbau in den unteren Höhenlagen gestört. Dazu kam eine Teils heikle Lawinensituation oberhalb der Waldgrenze. So war in den letzten Wochen fast überall in Tirol Warnstufe 4. Das hat die Tourenauswahl stark eingeschränkt. Trotzdem gilt wie immer:
Wer nicht losfährt und mal schaut was gehen könnte, kommt überhaupt nicht zum Klettern.
So hatten wir doch die eine oder andere Möglichkeit von Pitztal, über Achensee bis Allgäu gefunden. Und wer hätte gedacht, dass im Allgäu an der unteren Gaisalpe so viel Eis steht! Offensichtlich nicht viele. Ist der Eisfall doch recht bekannt, leicht zu erreichen und durch seine moderaten Schwierigkeiten für viele Aspiranten ein lohnendes Ziel, waren wir mit zwei weiteren Seilschaften am Freitag doch recht ungestört unterwegs. Die objektiven Gefahren an diesem Eisfall schätzten wir als gering ein. Unterhalb der Geisalpe gelegen, gespeist durch den See, ist die Lawinengefahr praktisch null. Trotzdem konnte man schon im Zustieg das vorherrschende Lawinenproblem gut erkennen: Bodenloser Triebschnee ohne jegliche Bindung floss uns durch die steilen Rinnen entgegen.

Nach gut 45 Minuten Zustieg erreichen wir die erste Seillänge, das „Krümelmonster“. Mit seinen 50m Höhe und anhaltender Steigung um mit 75-80° Steilheit schon ein guter Aufwärmer zu Beginn. Das Eis ist perfekt, angenehm weich und damit leicht zu klettern. Trotzdem ist es hart genug, um vernünftig zu sichern. Das Eisschild ist kompakt auf ganzer Breite, so dass man überall eine Schraube versenken kann. Plaisir-Eisklettern wie im Bilderbuch. Mit so guten Bedingungen haben wir absolut nicht gerechnet. Hatten wir doch vor ein paar Tagen am Achensee mit stark hinterspülten Eissäulen zu kämpfen gehabt.

Die zweite „Seillänge“ sind ca. 80m Gestapfe durch eine Schneerinne mit kleineren Eisaufschwüngen, welche einen direkt zum Herzstück des Eisfalls führt. Auf einem breiten Schneefeld geht die Tour „Solotrip“ los.

Ein wahrliches beeindruckendes Eisschild! Wir persönlich fanden es recht anhaltend für die angegebenen Schwierigkeiten, so sind wir die folgende Seillänge in „Jojo-Technik“ geklettert. Ich stieg die ersten 30m vor, wobei ich alle mitgebrachten Eisschrauben verbrauchte. Christoph lies mich ab. Er stieg ein, sammelte die verbrauchten Schrauben bis auf die letzte ein und zog die letzten 30m bis zu einer guten Standmöglichkeit durch, für die er wieder alle Eisschrauben verbrauchte. Die so entstandene 60m Seillänge stieg ich wiederum nach und wir trafen uns am nächsten Stand. Durchaus unorthodox, aber so erspart man sich den unbequemen Zwischenstand in der Mitte und gewinnt noch ein paar Meter Eisklettern dazu.
Danach nahm der Genuss immer noch kein Ende. Es folgt eine leichtere Seillänge im besten Eis bis zu einem Abseilstand am Block. Dort sind wir uns einig, das ist eine der Top-Eisklettertouren gewesen dieses Jahr!


Glücklich mit unserem Tageswerk machen wir uns ans Abseilen. Im Abstieg entdecken wir noch die Reste einer kleinen Schneebrettlawine weiter drüben am Rubihorn und sind uns einig: Wir haben für heute die richtige Tour gewählt und das „losfahren und mal schauen“ hat sich wie immer ausgezahlt!
Autor: Patrick Schein